Wer lenkt wen? Du die Gedanken oder die Gedanken dich?

Im Yoga hörte ich oft das Wort Kontrolle: Kontrolle des Atems (Pranayama), Kontrolle der Sinneseindrücke (Pratyahara) oder Kontrolle des Geistes (Meditation). Aber geht das überhaupt, die Gedanken zu kontrollieren?

 

In der Definition von Yoga geht es um nichts anders als Gedanken: 

 

Yoga Chitta Vritti Nirodaha: Yoga ist das zur Ruhe kommen der Gedankenwellen.

 

Dabei kann Yoga als das Ziel angesehen werden, also einen ruhigen Geist zu haben oder als der Weg dorthin.

Wie wir nun die Gedanken zur Ruhe bringen, sagt die Definition nicht. In dem weiteren Sutren beschreibt Patanjali verschiedene Wege, hauptsächlich den der Meditation.

 

Warum Meditation? Wie Meditation wirkt, merken wir schon beim ersten, wenn wir versuchen zur Ruhe zu kommen. Wir bemerken zum ersten mal, wie viele Gedanken wir haben, dass es einer stürmischen See gleicht als einem stillen Wasser. 

Bis zu dem Zeitpunkt, an dem wir beginnen uns mit unseren Gedanken auseinanderzusetzen, bemerken wir die Menge an Gedanken gar nicht bewusst. Wir stellen das, was wir da in Form von Worten, Stimmen und Bildern wahrnehmen nicht in Frage. Wir glauben das, was wir denken und nehmen es für bare Münze. Es kommt uns noch nicht einmal der Gedanke, dass diese Gedanken nicht wahr sein könnten.

 

Problematisch an der ganzen Sache ist, dass unsere Gedanken ca. zu 80 % negativ sind! 

Da möchte man gleich sagen: „Nein, also meine Gedanken sind gar nicht so negativ, ich bin eigentlich ein Optimist.“ Aber wissen wir das wirklich? Bekommen wir eigentlich mit, was unsere Gedanken den ganzen Tag so treiben? Meist kommen und gehen die Gedanken ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Wenn nun also ein großer Teil dessen was wir denken, negativ ist und wir uns unserer Gedanken und deren Inhalt nicht bewusst sind, kann dies schnell zu Unsicherheit, Selbstzweifel, Minderwertigkeitsgefühle, Angst, Wut oder gar Depression führen. 

 

Aber warum denken wir so negativ? Unser Gehirn hat sich über Millionen von Jahren entwickelt. Wichtig für die menschliche Rasse an sich und damit auch für jedes Individuum, ist zu überlegen. Ein Reh oder Eichhörnchen überlebt dadurch, dass es sehr vorsichtig ist und ständig seine Umgebung nach Gefahren abscannt und immer bereit ist, zu fliehen. Unsere Vorfahren, die Steinzeitmenschen haben das nicht anders gemacht. Hinter jedem Felsen konnte ein Säbelzahntiger lauern, in der Höhle ein Bär auf einen warten oder der benachbarte Klan angreifen um uns unser erlegtes Mammut zu klauen. All diese Dinge sind für uns nicht mehr relevant, leider hat sich unser Gehirn nicht in der gleichen Geschwindigkeit entwickelt, wie unsere Lebensbedingungen.

 

Um all die negativen Gedanken und die damit einhergehenden negativen Gefühle los zu werden, ist die vielleicht naheliegendste Strategie die Ablenkung. Dies tun wir gewöhnlich mit Arbeit, Essen, Social Media, Netflix, Alkohol & Co. Ein bisschen Ablenkung schadet nicht, kann sogar gut sein, wenn es uns in eine bessere Stimmung bringt. Aber los werden wir die Gedanken damit nicht. Eine solche Ablenkungsstrategie ist der Versuch, unsere Gedanken zu kontrollieren, sie zu überdecken oder wegzudrücken. Dies wird aber immer nur für einen kurzen Moment funktionieren. Untersuchungen haben gezeigt, dass wir uns nach intensivem Fernsehkonsum sogar schlechter fühlen als zuvor. Eine solche Kontrollstrategie wird dann zum ernsten Problem, wenn sie uns unsere Lebensqualität mindert, indem unser Leben an uns vorbeizieht während wir auf Bildschirme starren oder es sich auf unsere Gesundheit und sozialen Kontakte auswirkt.

 

Kontrolle funktioniert also nicht. Was wir machen können, ist Abstand zu unseren Gedanken zu gewinnen. D.h. zu erkennen, dass wir nicht unsere Gedanken sind. Wie heißt es doch so schön:

 

Glaube nicht alles was du denkst!

 

Hier eine kleine Übung dazu aus dem Buch „Glück“ von Russ Harris:

Spüre bei folgenden Sätzen hinein und schaue was passiert:

„Ich bin unfähig.“

„Ich bin eine Banane.“

Was hast du gemerkt: Der erste Gedanke ruft ungute Gefühle hervor, der zweite Gedanke Belustigung. Warum? Weil wir den zweiten Gedanken nicht ernst nehmen. Wir wissen, dass wir keine Banane sind.

Beide Gedanken sind nur Worte, doch lassen wir uns vom ersten verunsichern.

 

Was passiert in der Meditation, dass sie so effektiv ist? Wenn wir meditieren versuchen wir nicht die Gedanken loszuwerden, zu kontrollieren, zu unterdrücken oder zu vermeiden. Wir erkennen sie einfach an als das was sie sind: nur Gedanken. Wir akzeptieren unsere Gedanken. Akzeptieren bedeutet nicht, dass wir sie glauben oder sie gutheißen müssen. Es heißt lediglich, dass wir nicht gegen sie ankämpfen und sie da sein lassen, ohne sie verändern zu wollen.

Akzeptieren beutet anzunehmen. Akzeptieren ist vollkommen wertfrei. Wenn ich etwas akzeptiere, treffe ich keine Aussage darüber, ob ich es gut oder schlecht finde, ob ich darin übereinstimme oder nicht. Ich akzeptiere es einfach an. Es bereitet mir keine Magenschmerzen, noch muss ich die Zähne zusammenbeißen, etwas auszuhalten noch etwas herunterzuschlucken. 

 

Akzeptanz ist nichts einfaches. Das ist auch der Grund, warum wir regelmäßig meditieren. Erst wenn sich unser Geist an die Praxis gewöhnt, kehrt tatsächlich Ruhe ein. Zumindest immer öfter. Je stärker und und für uns relevanter die Gedanken und die damit verbunden Gefühle sind, desto schwieriger wird es, Akzeptanz zu üben. 

 

Wenn wir akzeptieren, wird ganz viel Energie frei, die ich sonst in die Kontrolle meiner Gedanken gesteckt habe, in den Groll, die Wut, die Angst oder die Scham. Dadurch dass ich weniger in Selbstzweifeln, Minderwertigkeitsgefühlen und Unsicherheit gefangen bin, kann sich meine Energie entfalten und ich habe mehr Kraft und Zeit, um mich aktiv mit den Dingen auseinanderzusetzen.